Im Antibiotika-Markt lassen sich wissenschaftliche Erkenntnisse über das menschliche Mikrobiom möglicherweise kommunikativ nutzen, sodass Hersteller ihre Wirkstoffe feiner differenzieren und Regulierungsinstanzen die Verwendung bestimmter Antibiotika erleichtern könnten. Darauf zielende Medical Communications, besonders zum Aspekt gesunde Darmflora, stehen im Fokus dieses Beitrags. Das Beratungsunternehmen Homburg & Partner aus Mannheim sieht drei Optionen für Medical Marketing mithilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse aus der Mikrobiom-Forschung.
Erstens können die Hersteller von spezifischen Schmalbandantibiotika sich damit besser im Wettbewerb differenzieren und den meist höheren Preis rechtfertigen.
Zweitens können Hersteller von Original-Antibiotika sich durch solches Medical Marketing besser von Generika-Anbietern abgrenzen.
Drittens erlauben die Erkenntnisse der Mikrobiom-Forschung einen Appell an das deutsche Gesundheitssystem, die Empfehlungen und Budgets für Antibiotika zu überdenken und sowohl die klinischen als auch niedergelassenen Budgets für den Einsatz von spezifischen Antibiotika zu erhöhen.
Als Beispiel für den Zusammenhang zwischen Antibiotika und Mikrobiom eignet sich das Darmmikrobiom. Gerät dieses aus dem Gleichgewicht, können chronische Darm-erkrankungen die Folge sein. Zu den Gründen für solche Störungen des Mikrobioms, auch bezeichnet als Dysbiose, gehören unter anderem Arzneimittel-behandlungen, wobei Antibiotika eine zentrale Rolle spielen. Bereits die einwöchige Behandlung mit Antibiotika verringert die Diversität und Dichte der Darmmikrobioben eines Patienten auf dramatische Weise. Dies wird dadurch verdeutlicht, dass Proben der Yanomani, einer indigenen Volksgruppe aus dem Amazonasgebiet, eine um 40 Prozent höhere Diversität ihres Mikrobioms im Vergleich zur westlichen Bevölkerung ausweisen, was der täglichen Exposition gegenüber Antibiotika durch Lebens-mittel geschuldet ist. Gastrointestinale Antibiotika wie Rifamycin, Vancomycin und Metronidazole zeichnen sich durch ihre breiten Anwendungsbereiche gegen eine Vielzahl von pathogenen Bakterien aus. Mit diesem augenscheinlichen Vorteil geht jedoch eine Schädigung und Änderung der physio-logischen Zusammensetzung des Mikrobioms von bis zu 90 Prozent einher.
Insgesamt besteht das menschliche Mikrobiom aus den Genen aller mit dem Menschen in Symbiose lebenden Mikroorganismen. In jeder anatomischen Nische des Körpers hat sich eine Form des Mikrobioms ausdifferenziert, wobei der Großteil aller Mikrobioben den Darm besiedeln. Neuere Studien zeigen, dass sich das gesunde Mikrobiom in drei Gruppen unterteilen lässt, die als Enterotypen bezeichnet werden1. Die drei Enterotypen werden jeweils von einem Bakterien-typ dominiert: Bacteriodesm, Prevotella oder Ruminococcus.
Das Mikrobiom stellt den Schlüssel für das Verständnis von Arzneimittelunverträglichkeiten und Autoimmunerkrankungen dar, es beeinflusst
Fettstoffwechselstörungen und steht im Zusammenhang mit Diabetes, kardiovaskulären Erkrankungen und einigen Malignomen. Außerdem wirkt sich das Mikrobiom über die Darm-Hirn-Achse auf die psychologische Verfassung des Menschen aus und steht mit Psychopathologien wie Schizophrenie und Depressionen in Verbindung. Diese weitreichenden Einflüsse des Mikrobioms auf das menschliche Wohlbefinden könnten in Zukunft zu einer Anpassung von Behandlung und Dosierung von Medikamenten sorgen.
Die Annahme, dass sich das Mikrobiom innerhalb von wenigen Wochen nach der Antibiotikabehandlung regeneriert, hat sich als falsch erwiesen. Vielmehr kann sich eine Dysbiose über mehrere Monate bis hin zu Jahren erstrecken2. Etwas für die mikrobielle Welt des Darms zu tun, hat in den vergangenen Jahren an Popularität gewonnen, ist allerdings umstritten. Probiotika, die mit einer Verbesserung des Mikrobioms in Verbindung gebracht wurden, zeigen z.B. in Abhängigkeit der Enterotypen mitunter adverse Effekte.
Fig. 1: Nach einer Antibiotikabehandlung kann die Diversität des Mikrobioms deutlich zurückgehen.
Die Hersteller von spezifischen Schmal-bandantibiotika sollten sich der Vorteilhaftigkeit ihrer Produkte bewusst sein, was die Diversität des Mikrobioms betrifft, sowie die geringeren Dysbiosen und Folgeerkrankungen. Hier ist ein Medical Marketing möglich, das die Produkte gegenüber dem Breitbandwettbewerb differenziert und dies in Botschaften an den Arzt übersetzt. Um die Vorteile der spezifischen Antibiotika darzustellen, sollte eine direkte Interaktion mit Key Opinion Leadern (KOL) und Antibiotic Stewardship Teams (Teams zur Verbesserung der Antibiotika-verordnungspraxis) verfolgt werden. Ein explizites Targeting von hoch-DRG-volumigen Krankheits-bildern (DRG = diagnosebezogene Fallgruppen zur Abrechnung der klinischen Behandlung) kann außerdem die höheren Kosten der Schmal-bandantibiotika rechtfertigen.
Anders läge der Ansatz bei Herstellern etablierter Breitbandantibiotika. Diese sind als Marktsegment mehrheitlich dem Generika-Wettbewerb geöffnet und bieten wenig Möglichkeit der Differenzierung. Originatoren können Erkenntnisse über die negative Interaktion von Breitbandantibiotika und Mikrobiom dennoch in der Kommunikation nutzen.
Sie können sich innerhalb der Wirkstoffklassen durch Medical Marketing für ihre Altpräparate gegenüber Generikaherstellern differenzieren. Die Darstellung der präparatespezifischen Inter-aktionen mit dem Mikrobiom und der daraus entstehenden Differenzierungskriterien können sie in Medical Marketing übersetzen. Neben der Generierung neuer Botschaften und Messages können sich Originatoren als First Mover des Mikrobiommarketings platzieren, indem sie als erstes die Interaktion von Wirkstoffen mit dem Mikrobiom stärker in den Vordergrund stellen. Außerdem bietet sich die Möglichkeit, ihre Präparate mit Fokus auf individuelle Enterotypen zu vermarkten.
Die Mikrobiom-Forschung sollte einen Paradigmenwechsel der Antibiotika- Verabreichung einleiten. Dem steht das gegenwärtige, pauschalisierende Abrechnungsverfahren im Gesundheitssystem entgegen. Da es sich bei gastrointestinalen Darminfektionen oftmals um Begleiterscheinungen handelt, sieht das deutsche Abrechnungssystem nur ein geringes Zusatzbudget vor, das die zusätzlich entstehenden Kosten von spezifischen Antibiotika nicht abdeckt. Somit bevorteilt dieses System die Nutzung von preisgünstigen Breitbandantibiotika gegenüber einer Verwendung von spezifischen Schmal-bandantibiotika. Dieses Bild trifft sowohl für den klinischen Bereich zu, in dem die Kosten über das DRG-System geregelt werden, als auch im niedergelassenen Bereich, in dem das Medikamentenbudget die Kosten deckelt. Im Markt könnten sich zudem ganzheitliche Therapieonzepte mit einer Zugabe von Prä- und Probiotika etablieren, um Dysbiosen aufgrund einer Antibiotika-Einnahme entgegenzuwirken. Die Verwendung von Prä- und Probiotika ist aktuell stark im OTC-Markt zu beobachten und basiert auf Selbstzahler-Produkten sowie Apotheken-Positionierungen zu diesem Thema. Meist stehen solche Ansätze noch nicht im Fokus von Pharmaunternehmen, doch sie sollten diese vorantreiben (ebenso die Akteure des Gesundheits-wesens). Beispielsweise könnte jede Antibiotika-Packung gemeinsam mit Präbiotika abgegeben werden. First Mover solcher Therapiekonzepte könnten einen Impuls für ihre Absätze davontragen.