Umbruch in der klinischen Diagnostik
Die Studie beleuchtet nicht nur die technologischen Anforderungen an ein Zentrallabor, sondern setzt sich auch mit den konzeptionellen Fragestellungen wie Kostenerstattung, Kriterien für die Implementierung von neuen Technologien und der Auswahl von geeigneten Herstellern auseinander. Dadurch wird ein globales Anforderungsprofil für ein zukunftsträchtiges diagnostisches Labor deutlich.
Die klassische klinische Chemie mit ihren etablierten Methoden wird auch in Zukunft mit ca. 50 % des Probenaufkommens im Zentrallabor die wichtigste Rolle in der klinischen Diagnostik spielen. „Allerdings wird sich im Zuge der Präzisionsmedizin der Trend zu neuen Methoden im Labor durch Nutzung molekularer Informationen weiter fortsetzen“, weiß Christian Reis von der Fraunhofer Projektgruppe für Automatisierung in der Medizin und Biotechnologie. Präzisionsmedizin steht dabei für einen ganzheitlichen Ansatz zur Anpassung der Behandlung an die Bedürfnisse von Patientengruppen oder Individuen.
„Eine möglichst umfängliche Datenerhebung und Dateninterpretation durch unterschiedliche Verfahren mit hoher Informationsdichte sind dabei ein wesentlicher Bestandteil“, erläutert Reis. Um das volle Potenzial der molekularen Untersuchungen für die Präzisionsmedizin heben zu können, sind eine Reihe von Technologien notwendig, welche bis im Jahr 2022 etabliert und in die klinische Routine überführt werden müssen. Neben Technologien auf Basis von Liquid-Biopsies sind vor allem Next-Generation-Sequencing und Digital-PCR auf dem Vormarsch“, analysiert Reis.
Die durch die neuen Technologien ermöglichte Präzisionsmedizin wird im Jahr 2022 in mehr als 55 % aller Zentrallabore eine wesentliche Rolle spielen. Heute sind es gerade einmal 15 % der Labore. Neben der bekanntesten Indikation für Präzisionsmedizin, der Behandlung von Krebs, sieht Gruber vor allem bei neuen Anwendungsfeldern wie beispielsweise Autoimmunerkrankungen oder Infektionskrankheiten ein großes klinisches Potenzial .
Die Versprechungen der Präzisionsmedizin – mit ihrem Mehrwert für Patienten – sind da. Die dafür notwendigen Technologien dagegen meist noch nicht. Häufig hapert es am notwendigen Automationsgrad und der entsprechenden Digitalisierung in der Analytik. Beides würde – sowohl auf Hardware- als auch auf Softwareebene – ein schnelleres Testen, die Generierung zusätzlicher Services und die Aggregation von internen Testresultaten ermöglichen. „In diesen drei Bereichen sehen die befragten Labormanager die Hauptwertschöpfung heutiger und zukünftiger Labore“, erläutern Gruber und Reis.
Um diese Wertschöpfung zu realisieren müssen sich die Labore den Herausforderungen im klinischen Alltag stellen: Mit an erster Stelle steht dabei die Kostenreduktion bei der Durchführung von Tests. Daneben sind Laborkonsolidierungen und der Mangel an gut ausgebildetem Personal die größten Hürden. Durch geeignete Verbesserungen im Routinebetrieb kann diesen Herausforderungen begegnet werden.
Gruber sieht in den steigenden Anforderungen an Durchsatz, beschleunigter klinischer Entscheidungsfindung und Testqualität zur Lösung der oben genannten Aufgaben ein großes Potenzial; er sieht aber auch hohe Erwartungen an die Hersteller von Instrumenten und Tests. Vor allem die drei wichtigsten Kaufkriterien Produktqualität, Automatisierbarkeit und Preis-Leistung inkl. der Preisgestaltung spielen bei der Kaufentscheidung neuer Geräte eine wesentliche Rolle. Ein weiterer Schlüsselfaktor ist die mögliche Kosteneinsparung durch Anschaffung des neuen Geräts.
Der Markt für Geräte wird derzeit und auch in Zukunft von großen Unternehmen wie Roche Diagnostics, Abbott, Siemens Healthineers, Sysmex und der Danaher Group bestimmt. Insbesondere von Siemens Healthineers werden große Fortschritte im Bereich Durchsatz und technischem Service erwartet. „Doch der Markt ist für diese Unternehmen keineswegs so sicher, wie vielleicht angenommen. Asiatische Hersteller haben bewiesen, dass sie in Europa bestehen können – für über 40 % der befragten Labore kommt ein Einsatz in Frage“, warnt Gruber.
Sowohl Homburg & Partner als auch die Fraunhofer Projektgruppe für Automatisierung in der Medizin und Biotechnologie sehen die Notwendigkeit zeitnaher strategischer Entscheidungen. Die Studie zeigt eindrücklich die unterschiedlichen Handlungsnotwendigkeiten und Optionen für klinische Labore und Hersteller von Systemen und Tests. Vor allem die Hersteller müssen daher zentrale technologische und wirtschaftliche Fragen adressieren, die der kosteneffizienten Probenbewältigung gerecht werden. Neben den Anforderungen der Zentrallabore an automatisierte Dateninterpretation und verbesserte Prozesskontrolle, können in diesem Rahmen neue Geschäftsmodelle etabliert und kultiviert werden. Und neben den etablierten Unternehmen am Markt werden in Zukunft asiatische Hersteller wie Seegene & Mindray eine signifikante Rolle spielen.
Die Umsetzung und die Anpassung an zukünftige Anforderungsprofile der klinischen Diagnostik müssen demnach zeitnah erfolgen. Nur so kann dem anstehenden Umbruch begegnet werden.
AUTOREN
Christian Reis
Stefan Scheuermann
Fraunhofer IPA
Karl-Hubertus Gruber
Mario Fuchs
Homburg & Partner